Montag, 28. Juni 2010

Die Wiederkäuer


In einem episch langen Interview auf Rebell Teevau äusserte Ronnie Grob den Satz:

«Blogs sind die neuen Zeitungen.»

Abgesehen davon, dass Ronnies Satz ziemlich anmassend ist – wie will ein Hobbyblogger, der für Gotteslohn und eine Handvoll Kachingle-Cents arbeitet, seine Leistung vergleichen mit einer professionellen Redaktion, die aus dutzenden oder hunderten Leuten besteht: Ein Blick in einige Blogs zeigt, dass Ronnie Grobs Sentenz reines Wunschdenken ist.

Die Wahrheit sieht düsterer aus. Blogs sind nicht die neuen Zeitungen: Blogs sind vielmehr die ALTEN Zeitungen. Denn viele Blogger begnügen sich damit, den Inhalt der Zeitung von gestern (oder vorgestern, oder vor-vor-vorgestern) wiederzukäuen und mit einem launigen Spruch zu garnieren.

Tatsache ist: Wenn es keine Zeitungen gäbe, würden die meisten Blogs innert weniger Tage eingehen – weil sie keine Quellen mehr hätten, von denen sie abschreiben können. Ähnlich katastrophal würde sich für die Blogger die Einführung von Paywalls auswirken. Kein Wunder, sind die Blogger dagegen.

Ein Blick in einige Blogs bestätigt den Befund:

- Ugugu hat am 25. Juni einen Artikel der Zeit wiedergekäut und seither nichts selber geschrieben;

- die «Most Popular Page» im Bugsierer-Blog ist seit Wochen die Tirade gegen den Berner Sprachleitfaden. Die (falsch abgeschriebenen) Informationen dazu stammen aus dem Blick;

- und Ronnie Grob? Sein neustes Blogpost stammt ebenfalls vom 25. Juni. Er hat sich dabei ebenfalls bei einer Zeitung bedient, diesmal ist es der Tages-Anzeiger (wenn die Quelle auch fälschlicherweise als «Newsnetz» deklariert war).

Donnerstag, 24. Juni 2010

Alfred Eschers Herrenbahn versinkt im Grün













Was aussieht wie eine Waldwiese, ist der Schauplatz einer der erbittertsten Wirtschaftskriege des 19. Jahrhunderts.
Mit einigen Eisenbahnkilometern durch Niemandsland zwischen Bülach und Baden wollte Alfred Escher der Nationalbahn das Wasser abgraben. Die Nationalbahn war ihrerseits ein Projekt der Winterthurer Demokraten, die mir ihrer Linie Alfred Eschers «Herrenbahn» den Kampf ansagten. Die wackeren Winterthurer hatten gute Karten: die Nationalbahn besass nämlich die kürzeste Linie zwischen Winterthur und Baden. Grund genug für Alfred Escher, seinerseits eine neue Linie zu bauen, die noch kürzer war. Sobald sie ihren Zweck erfüllt hatte, nämlich die Nationalbahn in den Konkurs zu treiben, war sie nutzlos. 1937 legten die SBB die Linie still, 1969 wurde sie grösstenteils abgebrochen. Bis vor einigen Jahren wurden hier die Eisenbahnwagen des Zirkus Knie abgestellt. Doch seit Knie nicht mehr die Bahn benützt, wird Alfred Eschers Nationalbahn-Konkurrenzlinie immer grüner. Bald wird man davon nichts mehr sehen.

Dienstag, 15. Juni 2010

Klein Hollywood am Vierwaldstättersee


Es gibt einen Ort in der Innerschweiz, der fast so glamourös ist wie Hollywood: In Fürigen steht ein grosser Schriftzug im steilen Hang, der für das gleichnamige Hotel wirbt und der stark vom berühmten Hollywood-Sign beeinflusst ist. Zwar hätte der Schriftzug wieder mal eine Auffrischung nötig. Die Tüpfchen über dem U sind abgekippt. Und das R steht bedenklich schräg in der schönen Landschaft. Jetzt liest sich der Schriftzug F U R I G E N. Prächtig sieht er aber immer noch aus. Die Fotos zeigen die weniger glamouröse Rückseite der rund 4 Meter hohen Buchstaben.

Ob das Hotel Fürigen sich die Renovation seines Signs leisten wird, ist völlig offen. In der Zeit des Internets ist die Werbewirkung des Schriftzugs, der nur vom Vierwaldstättersee aus sichtbar ist, nicht mehr so wichtig. Neben dem Sign steht eine alte, wunderschöne Standseilbahn, die seit vier Jahren nicht mehr fährt. Auch hier spart sich das Hotel die Kosten für die Instandstellung. Was auch jammerschade ist.

Samstag, 5. Juni 2010

Aufruhr am Zebrastreifen



Die Stammtische schäumen. «Sprach-Irrsinn» zetert der Blick, und auch Tagi-Redaktor Daniel Foppa spricht von «höherem Blödsinn.» Was ist passiert, das den Blutdruck der Schweizer Männer stärker hinaufjagt als gierige Abzocker und bärtige Islamisten?

Alles nur, weil die Berner Fachstelle für Gleichberechtigung einen neuen Sprachleitfaden für die Stadtverwaltung veröffentlicht hat. Die Fachstelle schlägt unter anderem vor, dass die Verwaltung «Zebrastreifen» statt «Fussgängerstreifen» schreiben soll. Berner Machos, die nicht bei der Stadt arbeiten, dürfen selbstverständlich weiterhin Fussgängerstreifen sagen. Die Burgdorfer Machos dürfen auch. Apropos Fussgängerstreifen: In Österreich sagt man «Schutzweg». Ist euch das vielleicht lieber?

Der Sprachleitfaden enthält weitere Vorschläge für geschlechtsneutrale Begriffe wie «Lernende» (statt «Lehrlinge») und «Mitarbeitende» (statt «Mitarbeiter»). Begriffe, die andernorts selbstverständlich sind. Warum also die grosse Aufregung? Keine Ahnung. Zebrastreifen ist doch nicht so schlimm. Es gibt zudem gute Gründe für eine geschlechterneutrale Sprache. Denn unsere Sprache bestimmt unser Bewusstsein.

Der Sprachwissenschaftler Benjamin Lee Whorf zeigte, dass wir so denken, wie wir reden. Whorf hat die Sprache der Hopi mit der englischen Sprache verglichen. Er stellte dabei grundlegende Unterschiede fest. Die Hopi kennen zum Beispiel nur ein Wort für Insekten und Flugzeuge. Aber die Unterschiede gehen tiefer. Die Sprache der Hopi bezieht sich nicht wie unsere auf die Zeit (Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft). Stattdessen unterscheiden die Hopi zwischen dem Manifestierten, Objektiven (alles, was unseren Sinnen zugänglich ist) und dem sich Manifestierenden, Subjektiven (alles, was nur im Bewusstsein existiert, auch die Zukunft).

Whorf ist überzeugt: «Die Formulierung der Gedanken ist kein unabhängiger Vorgang – sie ist von der Grammatik jeder Sprache beeinflusst.» Und: «Ein Wechsel in der Sprache kann unsere Auffassung des Kosmos umformen.»

Update 1: Der Burgdorfer Polteri-Blogger Bugsierer hat dem Thema auch ein Blogpost gewidmet, in dem er es mit der Wahrheit nicht so genau nimmt: «an stelle von vater oder mutter soll der verbeamtete menschling jetzt von elternteil oder – kein witz – das elter sprechen.» Und Frau Zappadong plappert Bugsierers Gegeifer frischfröhlich nach. Dumm nur: Die künstliche Einzahlform «Elter» kommt im Berner Leitfaden überhaupt nicht vor. Das Beispiel zeigt einmal mehr, wie locker manche Blogger mit den Fakten umgehen. Und Bloggerinnen auch.

Update 2: Man sollte auch das Positive betonen. Es gibt auch zwei andere Blogger, die nicht der Hysterie verfallen sind: die Lautsprecherin und Andi Jacomet. Jetzt sind wir schon drei.